Nur drei Wochen nach unserer Plakataktion wurde unser allseits geschätzter Regierungspräsident Walter Lübcke feige von hinten erschossen, was uns alle tief schockierte. Nachdem erst ein Bekannter von Lübcke verdächtigt wurde, führte die Spur recht schnell zu einem Kasseler Neonazi namens Stephan E.
Was daraufhin Mitte Juli folgte, war eine respektlose Provokation der rechten Scene, als die Partei „Die Rechte“ eine Demonstration unter dem Motto „Gegen Pressehetze und Verbotsirrsinn!“ in Kassel anmeldete.
Als die Stadt Kassel einige Tage zuvor mit einem Verbot der Demonstration vor Gericht scheiterte, verlegte die Stadt den Demo Zug kurzerhand vom geplanten Regierungspräsidium (eine weitere perfide rechte Provokation) zum Stadtteil Unterneustadt, wo nur wenige Kasseler leben und der Demo Zug zum großen Teil an Autohäusern, Bordellen und irgendwie passend am alten Gefängnis vorbeiziehen musste.
Ich möchte noch ausführen, warum sich die DIG AG Kassel nicht offiziell dem großen Kasseler „Bündnis gegen Rechts“ angeschlossen hat. Zum einen konnten wir nicht ausschließen, dass alle der Unterzeichner friedlich agieren und insbesondere sind zahlreiche Gruppen israelfeindlich und/oder antisemitisch eingestellt. Darunter die aktive Ortsgruppe der „Demokratischen Front zur Befreiung Palästinas“ innerhalb des „Internationalistischen Bündnis“. Daher war der Kasseler Vorstand der Meinung, dass wir diesem Bündnis nicht beitreten, aber dennoch mit demonstrieren. Dieser Tag stand ganz klar unter dem Motto: „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“.
Die Gegendemonstration
Am 20.07.2019 fanden sich zahlreiche DIG- und JuFo-Mitglieder vor dem Kasseler Kulturbahnhof ein, um von dort aus gegen den Aufmarsch von ca. 100 Neonazis in der Unterneustadt zu ziehen.
Teilweise warfen uns dabei andere Gegendemonstranten, die u. a. palästinensische Fahnen trugen, verwunderte Blicke zu und sprachen uns auch kritisch zu Israel an. Die Lage war aber jederzeit friedlich und wir führten viele Gespräche und beantworteten Fragen.
Überraschenderweise hatten sich auch nicht DIG-Mitglieder uns anschlossen und nach Israel Fahnen gefragt. Darunter sogar eine Exil-Iranerin, die uns den ganzen Demo Zug begleitete.
Das sich sogar fünf AG Kassel Mitglieder im Alter zwischen 77 bis 83 Jahren dem langen Protestzug angeschlossen hatten, zeigte, wie Provokant diese Nazi Demo war. Inzwischen waren fast 15.000 Gegendemonstranten den Nazis entgegengezogen oder beteiligten sich in der ganzen Stadt an Gegenveranstaltungen.
Nachdem wir auch nach 1,5h Wartezeit am Platz der Deutschen Einheit keinen Neonazi erspähen konnten, da diese in einer Nische vom Gefängnis auf weitere „Gleichgesinnte“ warten mussten, wechselten wir zur Unterneustätter Kirche, wo sich unwissend auch Teile der Antifa versammelt hatten und kurz darauf der Demonstrationszug der Neonazis vorbeizog.
Dabei sorgten wir mit fünf Israel Fahnen für Aufmerksamkeit bei den Neonazis. Kurzzeitig kam es auch zu leichtem Gerangel vor der Kirche zwischen Polizei und Antifa Anhängern. Diese Bilder nahmen die anwesenden Medien dankend auf und wir als DIG zogen den Nutzen daraus, dass unsere Israel Fahnen am gleichen Abend noch in der ARD Tagesschau und im ZDF Heute Journal zu sehen waren.
Am Ende war es kaum nachzuvollziehen, dass es 100 Neonazis geschafft haben eine komplette Stadt mit 200.000 Einwohner lahmzulegen. Dennoch hat diese Gegendemonstration gezeigt, dass wir Kasseler zusammenstehen, wenn es nötig ist.
Ich bin der Meinung, dass unsere Beteiligung an der Gegendemonstration ein großer Erfolg war, besonders weil sonst kaum jemand den Neonazis so nah gegenüberstand wie wir, welche mit einem hämischen Grinsen an uns vorbeizogen.